TOMAK | Sprüche aus dem anderen Geschlecht

TOMAK Vagina-Monologe

Die große Bandbreite an Medien, die TOMAK (*1970) benutzt und die, wie er selbst sagt, „expansive Arbeitsleistung“ ist beeindruckend. Neben der Zeichnung und der Malerei entstehen Skulpturen, Aktionen, Performances. Basis seiner Werke sind literarische Quellen, wissenschaftliche und technische Zeichnungen aus den Bereichen der Medizin, der Physik, der Biologie und der Mechanik, sowie alten Büchern und Kompendien die er sammelt und studiert. Darüber legt TOMAK Linien, Gesten, Schriftbilder. Doch schafft er damit keine neue Welterklärung, sondern hinterfragt das Ausgangsmaterial, das er verwendet kritisch und schonungslos – und verbindet es durch seine künstlerische Intervention unmissverständlich mit den Themen der Gegenwart. Es ist ein Kosmos aus vielfältigen Gedankenschleifen, den er dem Betrachter präsentiert. Zumindest dem, der darin eintauchen möchte, der so wie der Künstler der Bedeutung von Worten, von Begriffen und Bildern auf den Grund gehen möchte. TOMAK hat das zeichnerische wie handwerkliche Talent die Realität durchaus sehr genau darstellen zu können, doch ist dies nicht seine Intention. „Man kann Realität nicht darstellen. Man schafft es weder in der Literatur noch in Malerei und auch nicht in der Fotografie. Schon Thomas Bernhard sprach in Zusammenhang mit der Fotografie von ‚Naturverfälschung‘. Man kann die Realität nur übersetzen, stilisieren, aber nie fassen, denn jeder von uns hat eine andere Form der Wahrnehmung.“ Basis seiner Bilder ist stets der Text. „Erst dann kommt das Bild, meine ersten Bilder bestanden nur als Text, die Zeichnung kam später dazu. Sie ist für mich ebenso eine Sprache, die etwas vermittelt aber dort beginnt, wo die eigentliche Sprache aufhört“, erklärt TOMAK.

In der Bildkonzeption bleibt er stets dem Figurativen treu, wie auch in dem Zyklus der „Vagina-Monologe“. Der Auslöser dieser Werkserie war banal. Auf seinen Streifzügen durch die Stadt fiel ihm auf, dass das o.b. Logo für Tampons, eigentlich etwas von einem Gesicht hat. Zunächst entstand als künstlerische Umsetzung zu dieser Wahrnehmung im Atelier ein großes Bild, mit gestisch schnellen Pinselhieb. Darauf folgte allerdings eine differenzierte und sehr komplexe Serie an Zeichnungen, in denen TOMAK erstmals mit dem Farbstift arbeitet – und einmal mit dem Dialog von Text und Bild. An die Stelle des schnell gesetzten Pinselstriches traten anatomische Zeichnungen. Die Texte erklären jedoch keineswegs das Dargestellte, sondern setzen TOMAKS „Vagina-Monologe“ in einen breiter gefassten Kontext und erweitern diese durch
die grafische Qualität des Handschriftlichen, naturgemäß auch formal. Der „Vagina-Zyklus“ ist eine individuelle Auseinandersetzung des Künstlers TOMAK mit feministischen Texten – durchaus selbstkritisch wie er zugibt. Zu vieles in der gesellschaftspolitischen Konnotation der Frau – und ihrer emanzipatorischen Befreiung aus diesen Rollenzuschreibungen war ihm als Mann nicht bewusst. „Der Satz: ‚Die kulturelle Entwicklung wird immer an der Frau festgemacht‘ den ich gelesen habe, gab mir zu denken. Er ist vollkommen richtig: von der Eigenständigkeit bis hin zur Verhüllung durch den Tschador und die Keuschheitsrituale vieler Religionen. Ebenso kommt in den Texten auch eine für mich völlig überraschende Verfremdung und Entfremdung der Frau von ihrem eigenen Geschlechtsteil zum Ausdruck. Dies zeigt auf, wie prägend Erziehung, Umfeld, Zivilisation, Religion und Kultur sind. Bereits die Sprache, die das weibliche Geschlechtsteil als Scham bezeichnet, macht dies offensichtlich.“ TOMAK verwendete für die Serie Texte der radikalen US-Feministin Valerie Jean Solanas, die 1968 durch das Attentat an Andy Warhol auch abseits ihres SCUM Manifestes Bekanntheit erlangte. Ebenfalls Eve Ensler, eine US-amerikanische Dramatikerin, Schriftstellerin, Künstlerin und feministische Aktivistin, die durch das Theaterstück Vagina-Monologe einem breiteren Publikum bekannt wurde, beeinflusste TOMAK bei diesen Arbeiten.
Ensler sammelte über 200 Interviews mit verschiedenen Frauen und stellte daraus Monologe zusammen, die von sexuellen Erfahrungen ebenso erzählen, wie von erotischen Fantasien, Leidenschaften bis hin zu Vergewaltigungen. 

Neue Sichtweisen einzunehmen, Themen von neue Blickwinkeln aus zu betrachten ist für TOMAK essenziell. Sein Blick auf den Menschen, die Gesellschaft und die Umwelt ist kritisch, schonungslos und scheut nicht vor politischen und gesellschaftlichen Tabus zurück. Text und Darstellungen verbinden sich auf einzigartige Weise, geben Hinweise und halten zugleich auch verschiedene Deutungsrichtungen offen. Dabei versucht TOMAK stets auch eine gewisse Distanz zu wahren. „Damit meine ich, dass meine Arbeiten nicht so einfach zugänglich sein sollen und inhaltlich nicht auf den ersten Blick fassbar sein sollen. Man muss sich schon damit auseinandersetzen wollen und sich in meine Gedankenwelt hineinbegeben wollen. Kunst muss im Weg stehen – positiv wie kritisch – und nicht eine glatte oberflächliche Fassade und Behübschung sein.“

©Silvie Aigner